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Für Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen

Fasching im Heim - Ein kurzer Roman (Teil II)

 Ronald tat einen Schritt, vorbei an Dusche und Waschbecken, die sich glücklicher Weise im Zimmer befanden, tat noch einen Schritt ins Zimmer und stand schon wieder am Fenster. Er sah sich kurz um. Sein Blick fiel aufs Bett, ein einfaches Metallgestell mit dünner Schaumstoffmatratze.

Daneben stand so was wie ein Nachttisch. In der Ecke zwischen Fenster und Bett stand ein Tisch und ein Stuhl. Gleich daneben ein Kühlschrank der, egal welche Stufe man einstellte, immer alles was man rein tat tief gefror.

Jetzt war ich am Grinsen: „Fühl´ dich wie Zuhause, setz´ dich, nimm dir´n Keks!“ Draußen hörte man immer noch Steven in regelmäßigen Abständen schreien.

Uff de Fresse?!, Uff de Fresse?!“

Ronald setzte sich auf den Stuhl. Er rang sichtlich nach Worten, während ich im Schneidersitz auf dem Bett Platz nahm. Schließlich fand er die Fassung wieder. „Sach mal, ich hab da grad keinen gesehen der kein Bier in der Hand hatte. Aber stand nicht unten auf dem Zettel an der Tür das Alkohol und Drogen hier verboten sind?“

Ja“, sagte ich und konnte mir das Grinsen wieder nicht verkneifen, „das steht da wohl dran...“

Nichts und niemand interessierte wirklich was im Haus passierte. Im ersten Stock gab es ein Büro, mit einem Mann darin, der wohl als Berufsbezeichnung Sozialarbeiter hatte,aber im Grunde nichts anderes tat, als die notwendigen Formulare zur Kostenübernahme auszufüllen und die Termine für die Waschküche zu vergeben. Ein Euro fünfzig für zwei Maschinen. Waschmittel ist natürlich selber zu besorgen. Vier alte Waschmaschinen, von denen zwei immer kaputt waren, standen darin. Außerdem vier Trockner. Den Schlüssel musste man beim Wachmann unten abholen, nicht ohne sich einen blöden Spruch darüber anzuhören, ob man denn wirklich dran war und auch bezahlt hatte. Die Waschküche war ein besonderer Ort, denn wenn man den Fehler machte, beim nach gucken wie weit die Wäsche war, nicht die Tür hinter sich zu schließen, hatte man sehr schnell Rolf und Inge auf dem Hals. Bei beiden wußte man sofort, daß hier eigentlich eine Unterbringung im Krankenhaus angebracht war. Warum sich die Beiden dennoch, sozusagen unbeobachtet, in diesem Wohnheim aufhielten, ist mir bis heute ein Rätsel. Rolf hatte vergessen, daß er die Zeit vor mir hatte. Seine Wäsche holte ich kurzerhand aus der Maschine und legte sie oben drauf, um meine endlich rein tun zu können. Es war schon spät, obwohl es erst 18.00 Uhr war. Draußen war es aber schon dunkel, um diese Jahreszeit nichts Besonderes, aber dennoch blieb der Eindruck, dass es tiefe Nacht war.

Rolf kam in die Waschküche gestürzt und legte sofort los.

Ey ick sage dir, hier loofen ja wirklich viel Idioten rum, aber du bist ihn Ordnung Großer.“

Manche Menschen, eigentlich nur Männer, neigen dazu einen anderen Menschen „Großer“ zu nennen, selbst wenn er ihn an Körpergröße überragte. Rolf beschloss sich meinen Namen nicht zu merken, sondern mich weiterhin „Großer“ zu nennen. „Ey tut mit leid“, sagte Rolf, „ick hab eben noch mit New York telefoniert. Ick bin ja immer mal hier und mal da. Ick reise immer hin und her, zwischen New York, Barcelona und Berlin, weeßte?! Ick sage dir, hier sind so viele Idioten, aber du bist in Ordnung Großer!"

In dem Moment kam Inge rein. Knappe 63 Jahre und selbst ernannte „Flusensieb Wächterin“ der Waschmaschinen und Trockner im Haus. Als wenn wir uns schon lange kennen würden kam sie sofort auf mich zu, nahm mich beim Arm und fing an mir an jeder einzelnen Maschine zu erklären, wie man das Sieb sauber machen müsste.

Dit iss Inge,...,iss ´ne janz Liebe“, sagte Rolf. „Ohne Inge würde hier wat fehlen“, schob er noch hinterher, um dann wieder zur Hauptsache zu kommen.

Weeßte, ich bin ja immer unterwegs. New York, Barcelona, Berlin, weeßte?!“

Ich fühlte mich plötzlich verpflichtet, die mir entgegen gebrachte Freundlichkeit zu erwidern und hörte mich sagen: „Ach, kiek an, da bist Du der Reisende...?!“

Ja jenau“ schoss es aus Rolf heraus. „New York, Barcelona, Berlin, verstehste de?! Immer hin und her, verstehste?! Ey, hier sind echt viele Idioten, aber du bist in Ordnung Großer. Ick mach ma´meine Wäsche in Trockner, denn kannst de.

Die Inge iss ne janz Liebe“, sagte er noch, was meine Aufmerksamkeit wieder auf die alte Dame richtete, die sich sehr intensiv um ein Flusensieb kümmerte.

Wenn de dit immer richtich machen tust, dann iss immer allet in Ordnung, denn haste keene Probleme, weeßte ick bin doch ooch nur ´n Mensch.! Ick hab doch sonst nüscht mehr.“

Tränen traten ihr in die Augen und sie umarmte mich. „Ick hab doch sonst nüscht mehr“

Bist schon ´ne Jute Inge“, war auf einmal Rolf wieder zu vernehmen, „Und hier loofen ja viele Idioten rum, aber der Große iss in Ordnung!“

Inge ließ aus der Umarmung nicht los. „ Ick bin Inge, 130“, womit sie ihre Zimmernummer meinte.

Ick bin immer da, außer wenn ick mal kurz wat einkoofen bin, weeßte.“. Ich nahm mir in diesem Moment vor Inge öfter zu besuchen, wußte aber ganz genau, das es bei diesem Vorsatz bleiben würde. In solchen Momenten denke ich an Menschen die ohne jedes Obdach sind, die nichts zu essen und wenn überhaupt wenig Wasser haben. Ich denke dann immer, daß es mir doch noch gut geht. Auch Inge geht’s noch gut, aber ihre gesamte Traurigkeit, ihre völlige Orientierungslosigkeit kam in dieser Umarmung, ohne Worte, zur Sprache. Und ihre Dankbarkeit.

Ick muss eben mal mit New York telefonieren“, sagte Rolf und verschwand.

Günther kam die Treppe runter geschlurft, sah einmal kurz zu uns rein und sagte im Vorbei Gehen:

Ihr seid doch alle bekloppt“.

 

Fortsetzung folgt...

Oliver Wellmann 2009
Wellmann eXtremkabarett-blog
www.oliver-wellmann.de