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Informationen

Für Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen

30 Jahre ARGE Wien

Es gibt immer wieder Situationen oder Momente im Leben, deren Tragweite sich erst viel später herausstellt. Meist erinnert man sich nicht mehr an den eigentlichen Anlass und ganz selten lassen sich die Ereignisse im nachhinein streng chronologisch nachvollziehen. Das geschieht täglich bei den kleinen Entscheidungen aber ganz ganz selten entsteht auch etwas Besonderes.

Ende der 70er Jahre gab es in Wien nur den Bahnhofssozialdienst der Caritas am Westbahnhof. Eine Anlaufstelle für „Sandler“, die zwar Ratschläge und und Unterstützung aber keine Räumlichkeiten zum Verweilen bot. Jedenfalls wurde dennoch der erste Schachclub für Obdachlose gegründet. Ein Schachspiel nimmt ja nicht all zu viel Platz in Anspruch.

In der Wiedner Hauptstraße wurde eine Beratungsstelle eingerichtet, dort wurden auch Kleidung und Hausrat angeboten und da das Angebot größer als der Bedarf war, konnte man einen kleinen regelmäßigen Flohmarkt ins Leben rufen. Einem Prälat Unger gefiel diese Idee und auch die Leiterin des Bahnhofssozialdienstes, Marion Feig, sah Potential. So wurde ein Verein gegründet, ARGE genannt, auch weil die Idee in Salzburg und Linz aufgegriffen wurde. Sinnvolle Beschäftigung, Verkauf und Aufbereitung gebrauchter Möbel und Hausratsgegenstände, das sollte doch zum Selbstläufer werden. Bis zum Jahr 1985. Denn dann stand die ARGE vor der Pleite.Die Caritas zog sich zurück, die ARGE-Mitarbeiter waren einfach überfordert und Franz Sedlak wurde der traurige Auftrag erteilt „zu liquidieren“. Die laufenden Kosten wurden zumindest noch von der Caritas übernommen, wie stünde man sonst da?

Jetzt aber waren nicht Fakten gefragt, jetzt waren Menschen gefragt. Jetzt hat sich in einem Moment alles verändert. Was natürlich niemand auch nur ahnen konnte. Franz Sedlak schied aus der Caritas, die Caritas aus dem ARGE-Vorstand und hier beginnt eigentlich die Geschichte, die mich so fasziniert und die ich wirklich spüre. Dass sich nämlich der Geist und Grundgedanke bis heute durch alle Aktivitäten der ARGE zieht.

Material war da. Kunden waren da. Autos und Geld für die Miete waren nicht da. Recht günstige Leihwagen gab es, um die gesammelten Waren zu transportieren, Tagelöhner waren da, die ihre Hilfe anboten. Tagelöhner im besten Wortsinn. Und ab 1987 ging es langsam aber stetig aufwärts.

Ging es bis dahin „nur“ um Beschäftigung, so lief eigentlich der Wunsch nach Wohnraum, zumindest die Möglichkeit Schutz zu finden, parallel mit. Aber das ist ja ein Teil der Geschichte, der sich schwer einordnen lässt in den Zeitablauf. Alles war ungeordnet, unabsehbar, chaotisch. Und dennoch ging es einfach. 1990 wurde von Wolfgang Sperl „Bürger in Not“ gegründet, irgendwie mit dem Fernziel 500 Wohnplätze zu schaffen. Die Mitarbeiter wurden streng nach der Vorgabe:“Kannste mitmachen?“ gecastet und tatsächlich gab es AMS-Förderungen im Rahmen der sog. Randgruppenbeschäftigung. Aber wie man es nannte war den Beteiligten absolut egal! Ein messbares Zeichen für den Erfolg ist allerdings, dass sich die ARGE bis heute zu 80% selbst finanziert, das Verhältnis 80:20 ist tatsächlich bei anderen Institutionen umgekehrt.

Schwesternwohnheime gab es, die leer standen. Das Haus in der Geibelgasse 25 stand zur Vermietung. Peter Gusenleiter bot den Obdachlosen vom Westbahnhof die Zimmer für zwei Personen an, manchmal zogen aber gleich Partien von vier oder fünf Freunden ein. Und als ob das nicht genug an Wunder wäre, es gab kein Alkoholverbot!!! Schon damals, also 1992/93 erkannten kluge Menschen, dass auch ein gestrandeter das Recht auf Würde besitzt. Dass es sinnlos ist, einen Alkoholkranken vor die Entscheidung zu stellen, leben oder wohnen.

AnchorDas große Umdenken oder die große Akzeptanz kam dann 1997. Die „Austria3“, R. Fendrich W. Ambros und G. Danzer unterstützten das Projekt Leopoldauer Str.

Der Leiter des Möbellagers der ARGE Maroltingerstr. seit 1992, Heinz Tauber, sagte mir wörtlich:“ Der Gusi stand da mit einer Kiste voller Schlüssel und wer kam, hat gewohnt!“ Das war Weihnachten 1992/93 und das nenne ich niederschwellig!

Als ich 2002 für ein Jahr in der Geibelgasse wohnen durfte, bekam ich einen Schock. Von der Straße in eine 3er Wohngemeinschaft. Jeder ein Zimmer. Eine Küche und ein Bad für drei. Kühlschrank, Ofen, Heizung, Kabelfernsehen, Internetanschluss, 20m² nur für mich. Fast zu viel für einen, der im Park geschlafen hat. Wenn er schlafen konnte.

Elisabeth Romann hieß meine damalige Betreuerin, die jetzt das Wohnheim in der Maroltingergasse leitet. Und bei ihr habe ich mich für die Wärme und Herzlichkeit bedankt, die mir geholfen hat, wieder ein fast normales Leben zu führen.