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Informationen

Für Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen

Besuch bei der Boulevardzeitung Augustin in Wien

Im Rahmen meines Arbeitsbesuches in Wien (Österreich) vom 23. -28. Mai 2011 besuchte ich den ursprünglich als Straßenzeitung für Obdachlose, Arbeitslose, Asylbewerber und andere Randgruppen gegründeten Verein "Augustin". Riki, Sozialarbeiterin und Mitbegründerin vom Augustin empfing mich und meinen österreichischen Gastgeber bei einem ersten Besuch in den Räumen der Redaktion. Es war ein interessantes, informatives  und spannendes Gespräch, das mir die inzwischen vielfältige Arbeit der JournalistInnen, GrafikerInnen und SozialarbeiterInnen näherbrachte.

Die Zeitung Augustin

Haupteingang des Vereins

Der Augustin wurde 1995 nach dem Beispiel amerikanischer, britischer oder französischer Straßenzeitungen gegründet. Der Verkauf der Straßenzeitungen hilft Menschen, die aus verschiedenen Gründen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind (Obdachlosen, Langzeitarbeitslosen, AsylbewerberInnen u.a.), ihre Not zu lindern. Professionelle SozialarbeiterInnen des Augustin sind an ihrer Seite. Vorrangiges Ziel der Augustin-Sozialarbeit ist aber nicht, die Marginalisierten „jobready“ zu machen, sondern ihren Ausbruch aus der Entmündigung zu fördern.
Die Zeitung selbst definiert sich einerseits als Stadtzeitung, auch mit unterhaltenden Elementen, andererseits als Forum radikaler Kritik aller Formen sozialer Ungerechtigkeit und als Plattform der Marginalisierten. Sie wird von professionellen JournalistInnen und GrafikerInnen gemacht. Eine Definition aus beobachtender Sicht: „Der Augustin ist das soziale Gewissen Wiens“ (Prof. Fritz Hausjell, Publizistik-Institut Wien). Die JournalistInnen, GrafikerInnen und SozialarbeiterInnen, die das Augustin-Team bilden, sind identisch mit dem Vorstand des Herausgebervereins („Sand & Zeit“). Der Verein bezieht von Beginn an keinerlei öffentliche Subventionen. Alle Kosten werden von den Einnahmen des Zeitungsverkaufs, von Inserateneinnahmen und durch private Spenden gedeckt. Die hundertprozentige Eigenfinanzierung ist eine ideale Voraussetzung für die Unabhängigkeit des Projekts (Slogan: „Der Augustin hört auf ... niemanden“). Die Zeitung erscheint 14-tägig. Pro Ausgabe werden – von ca. 450 zurzeit aktiven VerkäuferInnen - zwischen 32.000 und 35.000 Exemplare verkauft. Der Augustin hat vielfältige Bereiche: Das Konzept des AUGUSTIN ist es, keine Gruppe auszuschließen. Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, in soziale Not geraten sind, finden im Vertriebsbüro Zuspruch. Betroffene können voraussetzungslos in das AUGUSTIN-Abenteuer einsteigen. Sie bestimmen Intensität und Ort ihrer Verkaufstätigkeit selbst. Sie erhalten einen Verkäufer/innen-Ausweis und werden auf die bestehenden Zusatzverdienst-Begrenzungen (im Fall eines Arbeitslosen-, Notstands- oder Sozialhifebezugs) hingewiesen. Sie verpflichten sich, während ihrer Arbeit, nicht alkoholisiert zu sein. Die Auflagen sind auf das Notwendigste reduziert, um die Hemmschwelle möglichst niedrig zu halten. Jede/r angehende/r Verkäufer/in erhält eine Einschulung, die Verkaufsbedingungen und 15 Gratis-Zeitungen (für Neuanfänger/innen ohne Deutsch- und Englischkenntnisse empfehlen wir für die Einschulung einen Dolmetsch mitzubringen). Derzeit sind rund 450 Verkäufer/innen in Wien und Umgebung unterwegs. Während der Öffnungszeiten des Vertriebsbüros (Mo, Fr: 9 bis 16 Uhr / Di, Mi, Do: 11 bis 16 Uhr, sowie Sa: 10 bis 12 Uhr) gibt es für die Verkäufer/innen die Möglichkeit des geselligen Beisammenseins, Nutzung von Telefon, Internet, Fax, Büromaterial sowie Zuspruch in Lebensfragen bzw. Informationen und Hilfe in sozialrechtlichen u.ä. Belangen (wie z.B. Tilgung von Schulden durch Schwarzfahren, etc.).

 

Radio Augustin

RADIO AUGUSTIN, gesendet auf Orange, dem Freien Radio in Wien, versteht sich als Sprachrohr und Lobby für marginalisierte Menschen und als Informationsquelle für gesellschaftspolitisch Interessierte.
Das Medium Radio ermöglicht ein Abstrahieren von äußeren Erscheinungsbildern, Stimmen und Worte können in neuen Zusammenhängen wahrgenommen werden. Dem Mainstream wird nicht entsprochen, der Kurzlebigkeit, Schnelligkeit und Oberflächlichkeit wird entgegengearbeitet. RADIO AUGUSTIN will nicht dazu beitragen, soziale Ausgrenzung und Obdachlosigkeit zu kulturalisieren, bzw. am Designen einer Sandler-Kultur mitzuwirken.

TV Augustin

TV Augustin Seit Dezember 2005 sendet Augustin TV auf dem Community TV Sender OKTO in drei verschiedenen Sendeformaten. Augustin TV zeigt Reportagen und Portraits. In eingSchenkt thematisiert der Sozialexperte Martin Schenk Fragen zu Arbeitslosigkeit, Armut, Ausgrenzung, Integration, Empowerment. Augustin TV auf youtube EingSCHENKt auf youtube AugustinTV auf facebook Die Schreibwerkstatt Die Schreibwerkstatt ist das älteste „Projekt im Projekt“. Es bestand schon vor dem Erscheinen der ersten Augustin-Ausgabe. Seit 1995 haben Menschen, die im Augustin publizieren wollen, die Möglichkeit, ihre Kreativität in Worten auszudrücken. Eine regelmäßige 8-seitige Rubrik im Augustin (Dichter Innenteil) gibt ihren Texten, ob Kurzprosa oder Lyrik, Raum, der ihnen in anderen Medien verwehrt bleibt.

Chor STIMMENGEWITTER

Chor Stimmengewitter Augustin Aus dem Umfeld dieser Zeitung erwuchs im Jahr 2000 das STiMMENGEWITTER AUGUSTIN, ein heute 9-köpfiger Chor. Gestartet als der musikalische Arm einer Unternehmung, die die sogenannten „Ränder der Gesellschaft“ und vor allem die Menschen, die an diesen leben neu ausleuchten will. Ohne Helfer-Syndrome und Elends-Romantik. Die das Feld der Kultur bestellende Ausprägung einer reflektiert und unermüdlich tätigen Selbstermächtigungs-maschine. Eine Stimmerhebung im reinsten und schönsten Sinn. Längst hat dieser Chor ein beeindruckendes musikalisches Eigenleben. Als viel- und weitgereiste Live-Attraktion ebenso wie auf „Konserve“. Die ausverkaufte Debüt-CD erschien 2003, „Kitsch & Revo“ folgte 2007. Ein Album, bei dem KünstlerInnen wie Bernadette La Hengst, Ja, Panik, Schorsch Kamerun (Goldene Zitronen), Fritz Ostermayer, Soyka/Stirner oder Texta um die manchmal brüllende, oft zärtliche, gelegentlich schräge, aber immer 100%ig beherzte und unverstellte Stimmgewalt des STIMMGEWITTER herum Musik gemacht haben.

11% K.THEATER

Innenhof

11% K.Theater heißt die bunte Mischung von Augustin VerkäuferInnen die, neben aktionistischen Performances im öffentlichen Raum, jährlich ein neues Theaterstück auf die Bühne bringt. Keine vorgeschriebenen „alten Schinken“ sondern lebendig und lustvoll inszeniertes Leben. Neben szenischem Theater wird auch mit Improvisationstheaterelementen gearbeitet, auf Bühnenbild und Requisiten wird zugunsten der Ausdruckskraft verzichtet. Die SchauspielerInnen wollen dem Publikum ihre humorvolle und kreative Seite zeigen und sich gemeinsam mit ihm ins Abenteuer stürzen.

Fußball Club Schwarz-Weiss Augustin

Schwarz-Weiß sind nicht einfach zufällig gewählte Vereinsfarben. Die Fußball-Abteilung des „Gesamtkunstwerks Augustin“ unterstreicht mit diesem Namen die Präsenz farbiger Kicker in der Mannschaft. Etwa 2002, als die ersten afrikanischen AsylwerberInnen (und die nach negativen Asylerfahren zu „illegalen Ausländern“ Erklärten) den Augustinverkauf als Überlebens- und Intergrationsmittel für sich entdeckten, war sowohl für die Sozialarbeit im Augustin-Projekt als auch für die publizistische Arbeit neuer Handlungsbedarf gegeben: antirassistische Interventionen wurden notwendig. Temporär schien die Lage zu eskalieren: Sowohl innerhalb der VerkäuferInnengruppe als auch unter KäuferInnen der Straßenzeitung, die die neue Buntheit des Augustin-Vertriebs nicht als positiv bewerteten, machten sich Ressentiments bemerkbar. Sie führten zu Konflikten, die das Augustin-Team zunächst zu überfordern schienen. Als nahezu einzige soziale Einrichtung, die für inländische und ausländische, ja selbst für „papierlose“ Hilfsbedürftige gleich offen steht, konnte der Augustin kaum auf Erfahrungen zurück greifen. Dennoch gelang die Deeskalation. Heute ist die Präsenz dunkelhäutiger VerkäuferInnen im Stadtbild zu einer „Selbstverständlichkeit“ geworden, vereinzelte Irritationen, Missverständnisse und Feindseligkeiten ausgenommen.

Mein zweiter Besuch beim  Augustin gab mir Einsicht in die verschiedensten Aktionen der Macher;  Radio, TV usw. Selbst ein eigener Server ist vorhanden. Ich hatte auch die Möglichkeit bekommen mit einigen Mitarbeiter des Augustins zu reden. Es ist sehr beeindruckend, was in den 16 Jahren seit Gründung des Augustin entstanden ist.

Ich habe noch erfahren dass der Augustin auch einen Kulturpass ausgibt. Der Kulturpass ermöglicht den benachteiligten Menschen bei freien Eintritt an Kulturveranstaltungen teilzunehmen. Weitere Informationen zum Verein findet man auf der Homepage