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Informationen

Für Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen

Liga-Pressekonferenz zur Stichtagserhebung Wohnungslose

 

Liga Stichtagserhebung 2010: Frauen und Männer in der Straffälligen- und Wohnungslosenhilfe Baden-Württemberg

Zwanzigste Stichtagserhebung überschreitet die 10.000er‑Marke

Zusammenfassung und Handlungsbedarfe

 Mit 10.065 am Stichtag 24. September 2010 erfassten Personen in der "Hilfe in be­sonderen sozialen Schwierigkeiten" wurde erstmals eine fünfstellige Zahl erreicht. Gegenüber dem Vorjahr war dies ein moderater Anstieg von 1,6%. Insgesamt waren 3.099 betreute Personen in mietvertraglich gesichertem Wohnraum untergebracht. Es verbleiben damit 6.966 Wohnungsnotfälle, wobei mit 2.479 Personen fast ein Viertel in prekären Unterkunftssituationen lebte. Hierzu rechnen Menschen 'ohne Unterkunft, in ungesicherter Ersatzunterkunft, Biwak, bei Bekannten' u.a.. In der lokalen Band­breite kommt es dabei zu Spitzenwerten von fast 50% der Hilfesuchenden. In den Beratungsstellen nehmen Menschen in bedrohten Mietverhältnissen, insbesondere wegen Mietrückständen, zu. Darin spiegelt sich die allgemeine Armutsentwicklung.

Präventive Hilfe

Die brisante Mischung von Armut, Hoffnungslosigkeit, Mietschulden, Sucht, fehlender Arbeitsperpektive u.a. entwickelt sich hinter Wohnungstüren. In dieser Entwicklung darf nicht gewartet werden, bis die Menschen "die Wohnung los haben", vielmehr müssen präventive Ansätze entwickelt werden. Wirksame Konzepte zum Wohnungserhalt sind vorhanden und sollten umgesetzt werden, denn Obdachlosigkeit ist siebenmal teurer als ihre Verhinderung. Die Wohnungslosenhilfe muss zu einer Wohnungsnotfallhilfe für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten ausgebaut werden.

Probleme der Kommunalisierung

Ein möglichst gleichmäßiger landesweiter Ausbau der Hilfe war Ziel und Ergebnis in der zentralen Zuständigkeit der Landeswohlfahrtsverbände auf Landesebene. Seit 2005 ist die Hilfe auf die Stadt- und Landkreise übertragen. In dieser Zersplitterung bedarf es einheit­licher Rahmenbedingungen und Standards im dafür vorgesehenen Landesrahmenvertrag, um im gemeinsamen Zusammenwirken aller Kreise einem Wiederaufleben von Wanderungs- und Vertreibungseffekten entgegen zu wirken. Hier besteht großer Nachholbedarf in den nachstehend aufgeführten Punkten.

Sachgerechte Hilfe für besondere Bedarfsgruppen

Auf nach wie vor hohem Stand verharren Personengruppen wie Frauen und junge Unter-25-Jährige. Extrem hohe Zuwachsraten von ca. 65% in den letzten 10 Jahren rückte sie in den Blickwinkel der Öffentlichkeit. Für beide Gruppen wurden vom Land einmalige Investitionsmittel bereit gestellt, mit denen spezifische Wohnangebote geschaffen werden konnten. Sachgerechte Hilfe, die sie möglichst rasch aus den besonderen sozialen Schwierigkeiten führt, ist nun gefragt.

Frauen in besonderen sozialen Schwierigkeiten

Fast ein Viertel der Hilfesuchenden sind inzwischen weiblich. Frauen haben einen anderen Hilfebedarf als Männer. Sie brauchen besonderen Schutz und Unterstützung in der Verarbeitung von Gewalterfahrungen, psychischen Beeinträchtigungen sowie spezifische Integrationshilfen in den Arbeitsmarkt. In der örtlichen Sozialplanung müssen Angebote für Frauen weiter gefördert werden, spezifische Wohnangebote sind nicht ausreichend vorhanden.

Junge Unter-25-Jährige in besonderen sozialen Schwierigkeiten

Jeder achte Hilfesuchende ist inzwischen unter 25 Jahre alt. Junge Menschen brauchen wirksame Hilfen, die sie möglichst rasch aus prekären Lebensverhältnissen führen. Sie brauchen insbesondere erzieherische, schulische, ausbildungs- und arbeitsbedingte Unterstützung und damit intensivere Hilfen als Erwachsene. Eine Milieuanpassung wegen unzulänglicher Hilfen wäre das Teuerste.

Straffälligenhilfe

Ein verbindliches Übergangsmanagement zwischen Diensten innerhalb und außerhalb des Strafvollzuges ist entscheidend und zu verbessern. Eine intensive Betreuung in der kritischen Phase nach der Haftentlassung trägt wesentlich zur Vermeidung von Rückfällen bei. Für die hohe Quote an jungen Straffälligen unter 25 Jahren, die noch um 70% höher liegt als in der Wohnungslosenhilfe, braucht es die vorgenannten Leistungen sowie bereits entwickelte Formen des Anti-Aggressionstrainings.

Lösung

Sachgerechte Leistungen für diese Bedarfsgruppen müssen auf Landesebene einheitlich und rasch definiert werden. Die Liga schlägt den Kommunen hierzu die Bildung von Hilfebedarfsgruppen im Landesrahmenvertrag vor. Gerade nach der Kommunalisierung brauchen wirkungsvolle örtliche Hilfen einheitliche Standards.

Sicherung der ambulanten Angebote

Eine herausragende Rolle kommt den seit 1984 aufgebauten ambulanten Angeboten zu, die von inzwischen 85% der Hilfebedürftigen angenommen werden. In keinem anderen Hilfefeld dürfte der Grundsatz "ambulant vor stationär" so umfänglich umgesetzt worden sein. Demgegenüber werden diese gewichtigen Angebote aber weitgehend durch Zuwendungen mit Haushaltsvorbehalt finanziert. Sie sind entgegen ihrer Bedeutung rechtlich nicht gesichert und in den angespannten kommunalen Haushalten bedroht.

Das aufgebaute landeseinheitliche System muss erhalten bleiben, um ein Wiederaufleben von Wanderungs-, Sog- und Vertreibungseffekten zu verhindern. Dieses Ziel kann in der kommunalisierten Hilfe als verbindliche Sozialleistung ge­sichert werden mit der Aufnahme dieser Angebote im Landesrahmenvertrag SGB XII. Diese verlässlichen Rahmenbedingungen wurden etwa in Bayern, Nordrhein-Westfalen oder Sachsen umgesetzt.

 Zugänge zum Arbeitsmarkt

Immerhin 642 Personen konnten ihr Einkommen durch Erwerbsarbeit auf dem 1. Ar­beitsmarkt erzielen. Aber nur noch 218 Personen erhielten Beschäftigung durch den 2. Arbeitsmarkt. 826 Personen hatten kurzfristige Ein-Euro-Jobs, die im kommenden Jahr in voraussichtlich großer Zahl weg brechen.

Öffentlich geförderte Beschäftigung ist gerade für diese Menschen erforderlich. Be­schäftigungsverhältnisse auf dem zweiten Arbeitsmarkt müssen wieder auf den Stand vor Hartz IV gebracht werden. Zusätzliche Förderungen – wie in Nordrhein-Westfalen – auf der Basis von §§ 67ff. SGB XII sind notwendig, wo Hartz IV für diesen Personen­kreis versagt. Integration ohne Arbeit gelingt nicht!

Der gesamte Bericht ist unter www.liga-bw.de bereitgestellt.

Stuttgart, 5. Dezember 2010