Gesetz in Ungarn verpflichtet zu Sozialarbeit, Madrid straft Bettler und Straßenkünstler.
In vielen Ländern Europas steigt, verschärft durch die Wirtschaftskrise, die Zahl der Obdachlosen. Parallel beobachten europäische Sozialverbände mit Sorge, wie viele Städte den Wohnungslosen das Leben erschweren, in dem sie ihre Verordnungen verschärfen. Für Proteste und Entsetzen sorgt seit einigen Monaten besonders der Kurs, den die ungarische Regierung eingeschlagen hat. Ein Ende September verabschiedetes Gesetz erlaubt Gemeinden künftig die Schaffung "obdachlosenfreier Zonen" und verbannt Wohnungslose von touristischen Plätzen und Straßen. Obwohl das Verfassungsgericht bereits vor zwei Jahren erklärte, Obdachlosigkeit sei keine Straftat, drohen verpflichtende gemeinnützige Arbeit, Geldstrafen und letztlich sogar Gefängnis. Mit großer Mehrheit (240 zu 82) entscheiden die Abgeordneten auch, dass Obdachlose künftig keine Hütten mehr bauen dürfen, um etwa gegen die Kälte geschützt zu sein. Doch Ungarn hat derzeit nur 10.000 Plätze in Obdachlosenheimen - bei bis zu 35.000 Betroffenen, schätzt die Uno. Um das umstrittene Gesetz erst möglich zu machen, änderte die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán im Februar sogar die Verfassung. Ein Bündnis ungarischer Bürgerrechtsgruppen hat angekündigt, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Auch vonseiten des Europarats wurde Ungarns Obdachlosenpolitik kritisiert
Astrid B. war obdachlos, als sie den Weg ins Netz fand. Auf der Straße war sie ein Niemand, dem Internet war ihre Wohnungslosigkeit egal, es bot Anerkennung und Hilfe. Wohin geht ein Mensch, wenn er kein Zuhause mehr hat? Astrid B. entschied sich an diesem Tag im Jahr 2009 für ein Internetcafé schräg gegenüber vom Bahnhof Zoo in Berlin. Eine Stunde Surfen, ein Euro. So viel Geld hatte sie gerade noch. Die heute 49-Jährige trug die Tüte mit ihrem kompletten Besitz in den Laden und setzte sich vor einen Bildschirm.Vielleicht hatte ja die große Suchmaschine eine Antwort auf die Frage, wohin Astrid B. gehen könnte. "Obdachlose Frauen in Berlin" tippte sie auf der Tastatur ein. Und der Suchalgorithmus lieferte. Die Adresse der Bahnhofsmission, Kontaktdaten von Notunterkünften. Google Maps wies ihr den Weg, weg vom Bahnhof Zoo.Das Internet, das ihr am ersten Tag in der Obdachlosigkeit geholfen hat, es sollte sich für Astrid B. auch in den kommenden Monaten auf der Straße als wichtig erweisen. Bis dahin hatte sie Computer nur für Videospiele benutzt, Surfen war nichts für sie. Während ihrer Zeit auf der Straße entdeckte Astrid B., was das Internet alles kann. Es tat sich ihr ein Raum auf, der ein Gefühl von Heimat gab. Im Internet bekam sie das Gefühl, von anderen gebraucht zu werden, nicht wertlos zu sein. Es wurde ihr Fluchtpunkt, wenn der Alltag der Obdachlosigkeit sie lähmte.
Ungarns Obdachlose sollen aus den Städten verschwinden: Wer in bestimmten Gebieten schläft, kann jetzt bestraft werden. Obdachlose werden so stigmatisiert.Es war eigentlich schon seit März bekannt: Obdachlosigkeit kann in Ungarn künftig kriminalisiert werden. So schrieb es das ungarische Parlament seinerzeit in die Staatsverfassung. Am Montag nun hat es ein Gesetz verabschiedet, das genau festlegt, welche Strafen Obdachlosen drohen, wenn sie auf öffentlichen Plätzen übernachten. Damit prescht Ungarn mal wieder voran in Europa, denn Obdachlosigkeit wird in keinem EU-Staat derart bestraft.In Budapest liegen sie in Hauseingängen, auf Parkbänken, an U-Bahnstationen. Es ist unübersehbar, dass vor allem in den Städten Ungarns zu viele Menschen auf der Straße leben, 30.000-35.000 sind es nach Schätzungen der UN. Ab dem 1. Oktober können Gemeinden Verbotszonen ausweisen, in denen sich Obdachlose nicht mehr aufhalten dürfen. Das wird vor allem die Innenstädte betreffen. Wer dann trotzdem auf der Straße schläft, wird nach dem neuen Gesetz zum Arbeitsdienst verpflichtet. Wer sich dem verweigert, muss eine Strafe zahlen. Wovon, das sagt das Gesetz nicht. Wenn jemand seine Strafe nicht zahlt, kommt er üblicherweise in Haft – dies ist dann auch für die Obdachlosen zu vermuten.
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"Mich bewegt es sehr, wenn ich Menschen sehe, die kein Zuhause haben, gerade wenn es jetzt wieder kälter wird. Wie kann man als Christ eigentlich helfen?"
Mir geht es wie Ihnen. Es beschäftigt mich sehr, dass ich in einer Stadt lebe, in der die Zahl der Wohnungslosen, so sagen Fachleute, zunimmt und weiter zunehmen wird. Sie stehen an Kirchen, vor Geschäften, am Bahnhof oder suchen nach Pfandflaschen in Containern oder Mülleimern an Haltestellen. Manchmal kaufe ich ihnen eine Zeitschrift ab oder gebe 50 Cent. Aber das ist eher eine persönliche Entscheidung und hat mit dem jeweiligen Eindruck zu tun. Wichtiger sind andere Hilfen.